... als viele neue Dinge entdeckt wurden, die das Land verschönern und gleich dem Paradies bereichern sollten. Auch vor den friesischen Landen, dort, wo Milch und Honig fließen und die Zitronen blühen, machten die Forschertriebe nicht halt. Die Sonne schickt ihre ersten wärmenden Strahlen über das pfannkuchenflache Grünland. Der Tau hängt feucht in den Sträuchern, die Wiesen und Felder scheinen in Watte gelegt, denn strauchhoher Nebel klebt noch am Boden. Vereinzelt recken sich Baumkronen heraus und von den Kühen gibt das Watte-Meer nur die schwarzweiß gefleckten Rücken frei. Es ist früh am Morgen. Ein Duftmix von taufrischen Wiesenkräutern, sich öffnenden Heckenrosen und vom Vortag geschnittenem Weidegras steigt in die Lüfte. Die ersten fleißigen Bienen summen schon. Eifrige Hühner picken sich lautlos ihr Frühstück vom Boden. Um den einsam gelegenen Bauernhof schleichen schemenhafte Katzengestalten. Die kleinen Wohnstubenfenster mit den Sprossen, die die Fenster in sechs noch kleinere Fenster unterteilen, streuen mit ihrem gelblichen Lichtschein Behaglichkeit in die Morgenstunde. Auch wenn kein Winter ist, brennt der Kamin in den kühlen Morgenstunden, dafür sorgt Bauernfrau Trinje, aber nur wenn Holz daneben liegt, das Vattern immer von draußen hereinholen muss. Noch liegt paradiesische Ruhe wie eine wollene Decke über dem Bauernhof. Gemütlich trinkt die Bauernfamilie ihr erstes Köppke Tee. Bauer Harm Harmsen sitzt wie immer auf dem Holzstuhl, den sein Großvater mal aus Mooreichenholz geschnitzt hatte. Dafür hat Oma Mugge ein Kissen gestrickt, das an Schlaufen mit Bommeln an der Lehne befestigt ist. Oma kauert in ihrem Lehnstuhl, in einem ganz modernen, mit Hosenträgergurtsicherheitstechnik, den hat der Moderator Ole van Dyck vor einigen Jahren aus der Stadt mitgebracht. Mit dem kann Oma Mugge sogar Purzelbäume schlagen - also nicht mit Ole, sondern mit dem Stuhl - ohne raus zu fallen ... wenn sie will, aber meistens will sie nicht, und ehrlich: eigentlich hat sie das noch nie gemacht. „Warum soll ick datt denn maken, wi sünn ja nich im Zirkus“, sagt sie immer, wenn Gäste mal die Schaukelstuhlpurzelbäume bestaunen wollen, von denen immer so viel geredet wird. Wahrscheinlich wird Omas Purzelbaum-Performance als Sage in die Geschichte eingehen.
Nun blicken alle auf die frisch geborene Babykuh, die die Blicke mit unschuldigen Kulleraugen erwidert, mit leicht geneigtem Haupt, an dem schon niedliche krumme Hörnchen hervorlugen. Die Bäuerin erkennt sofort: "Die sieht ja aus wie unsere gute alte Muhnalisa mit den braunen Äuglein!“ So wird sie spontan auf den Namen "Muhnalisa von Krummhörn“ getauft. ‚Unsere gute alte Muhnalisa‘, das war die Großmutter des soeben geborenen Kälbchens, war wohl die beste Milchkuh, die Bauer Harm Harmsen je auf seinem Hof beheimatet hatte. Damals hatte ‚unsere gute alte Muhna' an die Tür gehuft und um Asyl gebeten, getrieben von der Diskriminierung und Bedrohung schwarz-weiß-bunter Tierarten. Bei allen Melk-and-Euter-Contests hatte Muhnalisa die Preise abgesahnt, von "Miss Milk" über "Muh Bambi“ bis "Golden Star of stallfreundliche Galaxis". Die Trophäen, die sie gewonnen hatte, zeigt Bauer Harmsen immer wieder gerne, und er hat speziell dafür eine Vitrine aus Torfspalt und Mooreiche bauen lassen. "Vorne sind die Türen mit durchsichtigem Glas veredelt“, sagt er mit einem schelmischen Grinsen, "damit man freien Blick auf die Pokale hat, denn manch einer kann durch Holz noch nich kucken.“
ohne besondere Ereignisse. Einmal erlebte die kleine Muhnalisa einen schneereichen Winter, jedoch im warmen Stall neben dem bis ins Dach angehäuftem Heuberg und nun zum zweiten Mal den warmen Sommer. Noch hat sie mit Milchspenden nichts im Sinn. Auch der begehrte Titel „Miss Melk“, den ihre Großmutter dreimal in Folge errang, bleibt für Muhnalisa in weiter Ferne. Sie hat in diesem Alter eben keine große Lust auf Pokale. Da sie jetzt in der Pubertät ist, hat die junge Kuh-Dame alles andere im Kopf als sich melken zu lassen. Lieber tollt sie auf der Wiese herum, labt sich an saftigen Gräsern und probt sich im lauthalsen Muhen in den höchsten Tönen. Bauer Harm Harmsen lächelt väterlich über die Späße seiner Teeni-Kuh, wenn er morgens in seinen Cowboystiefeln am Zaun steht. Muhna ist irgendwie anders als die übrigen Kühe auf seiner Weide. Irgendwie eleganter, peppiger. Aber ganz klar ist er sich doch nicht, was anders ist an ihr, aber eines weiß der Friesen-Bauer ganz genau: aus unserer kleinen Muhna wird mal ganz was Besonderes, das spürt er in seinen ackergetesteten Knien. Eines Tages, genau genommen war es im letzten Sommer, treibt der Weg einen Herrn namens Bill Promoter in die Gegend hinter den Nordseedeichen. Bill ist Produzent, „Schallplattenpro... cent“, wie er sich selber scherzhaft nennt, mit einer Sprechpause zwischen pro und cent. Er will einige Tage von der Hektik des Showbusiness abschalten. Die ländliche Ruhe und die frische Seeluft bekommen ihm gut. Das weiß Bill, denn vor drei Jahren hat er schon mal vom ländlichen Klima gekostet. Noch ahnt er nicht, dass ihm zum Ausspannen wenig Zeit bleibt. Jetzt jedenfalls ist Bill gut gelaunt, pfeift nach den Melodien aus dem Radio und dribbelt mit den Fingern auf dem Lenkrad.